Türkei: Kritik an möglicher Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee
Patriarch Bartholomaios hat sich erneut gegen eine mögliche Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee ausgesprochen. Sie „gehört nicht nur den Besitzern des Monuments, sondern der ganzen Menschheit“, sagte der Ökumenische Patriarch in einer Predigt am 30. Juni. Als Museum könne die Hagia Sophia als „Ort und Symbol von Begegnung, Dialog und friedlicher Koexistenz von Menschen und Kulturen, gegenseitigem Verständnis und Solidarität zwischen Christentum und Islam“ dienen. Die Verwandlung in eine Moschee würde „Millionen von Christen in der ganzen Welt enttäuschen“ und Christentum und Islam spalten.
Im Juni waren erste Gerüchte aufgetaucht, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan plane, die Hagia Sophia in eine Moschee umzuwandeln.
Die Kirche aus dem 6. Jahrhundert gilt als ein Wahrzeichen der
Orthodoxie. Nach der Eroberung Istanbuls durch die Osmanen diente sie
bis ins 20. Jahrhundert als Moschee, heute ist sie als Museum für
Besucher zugänglich. Das Vorhaben hat international Kritik
hervorgerufen. Schon vor rund einer Woche kritisierte Bartholomaios in
einem Interview mit der Washington Post, dass das 1500 Jahre alte Erbe „uns trennt, statt uns zu vereinen“. Er sei „traurig und schockiert“ über Erdoğans Pläne. Der Generalsekretär der Partei der nationalistischen Bewegung (MHP) warf dem Patriarchen nach seiner Predigt vor, er überschreite seine Kompetenzen und seine Aussagen klängen wie eine Ankündigung von Angriffen gegen Muslime.
Dem Ökumenischen Patriarchen schloss sich unter anderen Erzbischof Hieronymos (Liapis) von Athen,
das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche von Griechenland, an. Er
bezeichnete das türkische Vorgehen als Spiel, er glaube nicht, dass die
türkische Regierung tatsächlich die Umsetzung der Pläne „wagen“ würde.
Der russische Patriarch Kirill
drückte in einem Statement seine tiefe Sorge über die türkischen Pläne
aus. Die Beziehungen zwischen der Rus‘ und Konstantinopel seien zwar
nicht immer einfach, aber das jahrtausendealte Erbe Konstantinopels sei
auch für die russischen Gläubigen wichtig. Eine Bedrohung der Hagia
Sophia sei „eine Bedrohung für die ganze christliche Zivilisation und
daher für unsere Spiritualität und Geschichte“. Er hoffe deshalb auf die
Vernunft der türkischen Führung und den Erhalt des neutralen Status der
Hagia Sophia.
Nicht nur Kirchenvertreter kritisierten die
türkischen Pläne, auch die russische Duma wandte sich an das türkische
Parlament. In ihrem Statement wiesen die russischen Abgeordneten darauf
hin, dass die Hagia Sophia eine der von russischen Touristen
meistbesuchten Attraktionen Istanbuls sei. Ihr aktueller Status als
Museum erlaube „einer maximalen Anzahl Menschen den Zugang, um
persönlich ihre Ehrfurcht vor dem spirituellen Erbe und den kulturellen
Traditionen unserer Vorfahren auszudrücken“. Sie riefen die türkischen
Abgeordneten auf, in dieser „für unsere Bürger heiklen Frage“ vorsichtig
und überlegt vorzugehen. Zudem forderte der US-Botschafter für Fragen der internationalen Religionsfreiheit
die türkische Regierung auf, den Status der Hagia Sophia als
UNESCO-Weltkulturerbestätte zu bewahren. Da sie eine „ungeheure
spirituelle und kulturelle Bedeutung für Milliarden von Gläubigen
unterschiedlicher Bekenntnisse in aller Welt“ habe, müsse sie der
Allgemeinheit zugänglich bleiben. Die UNESCO selbst hat sich schon Anfang Juni schriftlich an die türkischen Behörden gewandt,
habe aber noch keine Antwort erhalten. Die Weltkulturerbe-Konvention
bestimmt, dass sich ein zwischenstaatliches UNESCO-Komitee für die
„Bewahrung des unantastbaren kulturellen Erbes“ mit Fällen beschäftigen
muss, in denen der Status eines Weltkulturerbes verändert werden soll.
Der oberste Gerichtshof der Türkei entschied
Anfang Juli, dass das Dekret Mustafa Kemal Atatürks von 1934 – das der
Hagia Sophia den Status eines Museums verlieh – gültig sei. Allerdings
könne der Status mit einem Dekret des Präsidenten geändert werden.
Türkische Medien spekulierten, dass im Fall einer Statusänderung das
erste muslimische Gebet schon am 15. Juli stattfinden könnte. Daraufhin
rief der amerikanische Außenminister Mike Pompeo die türkische Führung
auf, den aktuellen Zustand zu erhalten. Die Regierung der Türkei wies
die Aufrufe jedoch zurück und betonte, die Hagia Sophia sei wie alle
anderen Kulturgüter des Landes Eigentum der Türkei und ihr Status sei
somit eine innere Angelegenheit. Erdoğan bezeichnete die Vorwürfe der internationalen Gemeinschaft gar als „direkten Angriff auf unsere Souveränität“. (NÖK)